Geronimo, 2012

Weißfrauen Diakoniekirche
Kuratiert von Thomas Kober
Frankfurt am Main



Soviel Zeit haben wir schon eine Weile nicht mehr in einer Kirche verbracht. Und schon gar nicht in einem solchen eher kühl und streng sich gebenden Gotteshaus wie der Frankfurter Diakoniekirche.
Nicht dass wir jetzt gerade ganz besonders traurig wären, Zuspruch suchten, Trost und Rat und Stille; wiewohl, auch davon lässt sich reichlich finden, setzt man sich auf den im Augenblick gerade freien Stuhl und also mitten hinein in die Installation, die Christiana Protto hier in zehn Tagen langer Arbeit ins Kirchenschiff gewuchtet hat. Schon vor mehr als zehn Jahren hat die Frankfurter Künstlerin mit ihrem "Wanderatelier" eine je nach Kontext variable künstlerische Form gefunden, die so präzise inszeniert wie offen ist. Und für "Geronimo", so der Titel der aktuellen Arbeit, gilt das in besonderem Maße.


Denn nicht nur, dass Protto mit diesem Arrangement aus Tausenden Büchern, aus leeren Joghurtbechern, Christbaumkugeln und Lametta, aus Pflanzen, echten und auch falschen Blumen, Schreibmaschine, Pinsel oder kalligraphischen Blättern, aus Kunst und Nippes und Alltagsgegenständen auf die Architektur und die vom Kreuz über den Altar und den Taufstein bis zur Orgel auf der Empore durch den Raum gezogene Achse reagiert. Statt die frohe Botschaft zu verkünden, wie es sich in einem Gott geweihten Raum doch gehört, stellt die 1962 geborene Künstlerin vor allem Fragen. Nach dem wahren Glauben, dem guten, dem richtigen Leben, der reinen Lehre auch und der Häresie, nach Natur und Ethik, Ökologie und Ökonomie und ganz allgemein nach Wort und Schrift.


Das fängt schon mit dem gewählten Titel an, der auf den als Géronimo Legende gewordenen Apachen ebenso verweist wie auf den Kirchenvater Hieronymus und mithin auf die Kunstgeschichte, wo "Hieronymus im Gehäus" ein altmeisterliches Thema vorstellt. Entscheidend aber für das Gelingen dieser Arbeit sind die Dinge. Und was sie ganz zwanglos mit dem Betrachter machen. Ob Nähmaschine und florale Stoffe, Hinweise auf das Kochen, Gärtnern oder Sammeln, auf Kunst und Religion, schließlich all die Bücher: je tiefer man sich einlässt auf die Installation, desto facettenreicher, anregender, widersprüchlicher auch muss einem dies hier vorkommen. (...)

Christoph Schütte,
Von dieser Welt und jener,
Frankfurter Allgemeine Zeitung,
21.09.2012




Christiana Protto